Bibliotheksethik, Teil 2: Lifetime Value von Benutzern

Anne Christensen hat ja kürzlich in ihrem Blogpost Ein Versuch über bibliothekarische Beratungsethik die Frage aufgeworfen, ob wir nicht so mutig sein sollten (und dafür bricht sie eine Lanze), eine „invasivere“, urteilende und zielführende Beratung anzubieten als jetzt. Mit anderen Worten: Ob wir wie Google dem Nutzer hunderte Informationsbröckchen hinschmeissen und ihn damit alleine lassen sollten oder ihm ein Buch (Artikel, Datenbank) empfehlen sollten, dass ihn u.U. rascher zum Ziel bringt.

Wir gehen ja mit unserer Sprechstunde für Doktoranden und den Hausbesuchen schon sehr in die Christensen’sche Richtung, auch wenn das generelle Problem natürlich bleibt (und da meine ich eher die 1. Hypothese: „Wir BibliothekarInnen finden in der Regel, dass wir auf ganz dünnem Eis arbeiten – zumindest dann, wenn wir nicht FachreferentInenn sind und in unserer Schokoladendisziplin beraten oder schulen“).

Nachtrag. Ach ja: Im Kontext von Medizinbibliotheken tauchen ganz andere Probleme auf, gegen welche die obigen wie laue Lüftchen wirken: Nicht selten kommen Patienten, die um Rat bezüglich ihrer Symptome/Krankheit fragen (oder die eines „Freundes“). Diagnosen stellen sollte man dann nicht, das ist schon klar, aber Antworten geben die schon, die US-amerikanischen Medizinibliothekare. Ihr Berufsethos verbietet es, sich hinter Ausflüchten wie „Ich bin doch kein approbierter Arzt“ zu verstecken, sondern sie helfen mit objektiven Informationen weiter bzw. wo diese zu bekommen sind. Wussten Sie, dass die American Library Association extra einen Guide herausgebracht hat für Public Libraries, wie man Consumer Health Information anbietet? Nicht ob, sondern wie!

In diesem Zusammenhang stellte sich mir eine weitere bibliotheksethische Frage: Sollen wir Professoren anders (bevorzugter) behandeln als Studenten? Ich höre schon den Aufschrei, aber wirtschaftlich gesehen würde es durchaus Sinn machen, eine neue Benutzergruppe „Schokoladennutzer“ einzuführen, denn:

ideally, a business should give all of their customers good service, but then provide a „ridiculously amazing experience“ when it really counts. [Justin Yoshimura von 500friends]

500friends analysieren Nutzer, um ihren „lifetime value“ vorherzusagen. Und in der freien Wirtschaft ist das durchaus überlebenswichtig zu wissen, mit welchen Nutzern man mehr Geld verdienen kann, und mit welchen weniger. Deshalb unterteilt 500friends die Kunden auch in so genannte Archetypen (BTW: ein interessanter Marketingansatz auch für Bibliotheken).

Meine Frage ist nun: Gibt es auch einen lifetime value von Bibliotheksnutzern? Gibt es Nutzer, die Bibliotheken mehr „Geld“ bringen als andere? (um in dieser Wirtschaftsanalogie zu bleiben). Statt Geld könnte man natürlich auch Profit sagen oder Budget.

Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Klar, Professoren haben – in diesem Sinne – einen deutlich höheren lifetime value als Studenten. Den höchsten lifetime value hat der Dekan, weil der über das Bibliotheksbudget entscheidet. Ein „ridiculously amazing service“ für ihn und der Mann wird vielleicht Fan der Bibliothek – ein unschätzbarer Wert in Zeiten umkämpfter Etats.

Dem steht natürlich unser Gerechtigkeitsempfinden entgegen, dass jeden Nutzer gleich behandeln möchte (nein, nicht jeden gleich: Der, der vor mir steht ist gleicher!), und das ist auch gut so, selbst wenn Mark Buzinkay (von dem ich diesen schönen Hinweis auf 500 friends habe) es „als Mähr von gestern entlarvt sieht, dass alle Kunden gleich behandelt werden“.

Naja, man kann ja das eine tun ohne das andere zu lassen, oder?

Foto: Simon E.Schuster Wikimedia Commons

2 Gedanken zu „Bibliotheksethik, Teil 2: Lifetime Value von Benutzern

  1. Danke für das Aufgreifen, Oliver! Das Bild der „ridiculously amazing experience“ gefällt mir – und ich freue mich immer, wenn ich die Zeit habe, an der Information ein paar Schritte in diese Richtung zu gehen, zum Beispiel dadurch, gemeinsam ermittelte elektronische Aufsätze gleich ausdrucken oder per Mail versenden o.ä. Als Service-Leitbild taugt das glaube ich auch für BenutzerInnen ohne „Schokoladen-Status“. Sonderbehandlungen für ProfessorInnen bieten wir ja in der Regel schon an (besondere Ausleihbedingungen zum Beispiel), müssen das nur vielleicht noch besser vermarkten.

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