Wissen und Unwissen

Seit einiger Zeit frage ich mich: „Ist Wissen gesund? Kann man zuviel wissen?“ Bei meinen Fortbildungen und Vorträgen bewerfe ich die Zuhörer ja nur so mit Informationen und wundere mich, dass es noch Web 2.0-Abstinenzler gibt. Jochen Dudeck analysiert in Bibliotheken in der Netzwerkgesellschaft die Gründe für diese Abstinenz bzw. die Resistenz gegen alles Neue:

Ich kann nicht immer „kommunizieren“, ich muss auch irgendwann „arbeiten“. Welchen Nutzen bringt es mir, wenn ich ständig mit Nachrichten aus dem Bibliothekswesen überschüttet werde, die zwar alle irgendwie interessant, aber für meinen Arbeitsalltag nur selten relevant sind? […] Oft fehlen schon die Ressourcen, bedingt durch ständige Personalkürzungen und Arbeitsverdichtung. […] Betrachten wir zuerst die Frage der Ressourcen unter den drei Aspekten: können, wollen, dürfen.
– Ich kann nicht, weil ich keine Zeit habe.
– Ich kann nicht, weil ich nicht weiß, wie es geht.
– Ich will nicht, weil dadurch meine vermeintlichen Unzulänglichkeiten offenbar würden.
– Ich darf nicht, weil mein Vorgesetzter [die EDV] das nicht will, usw.

Dudeck wirft danach einen kritischen Blick auf den Information Overload und die Auswirkungen der zunehmenden Beschleunigung auf die Gesellschaft:

Selbstverständlich tragen die Werkzeuge der sozialen Software auch erst einmal zu dieser Akzeleration bei. Ich kann z.B. durch den Einsatz eines RSS-Readers mehr in kürzerer Zeit erfassen. Der starke Widerstand gegen die Nutzung dieser Instrumente kommt aus der Ablehnung dieses „mehr“. Vernetzung wird zum Anschlusszwang, wenn ich selbst darin keine ausreichenden Gestaltungsmöglichkeiten habe. Hinzu kommt der Druck, technisch auf dem Laufenden zu bleiben. Was für EDV-Spezialisten reizvoll sein kann, ist für Normalanwender eine Zumutung.

Weitere Zitate, die mir in diesem Zusammenhang aufgefallen sind:

Wissen kann behindern. Unwissen kann befreien. Zu wissen, wann man etwas wissen muss und wann nicht, ist genauso wichtig wie eine scharfe Klinge. [Suzume-No-Kumo 1434]

Knowing too much hinders knowing at all – and thought brings no comprehension [Maulana Jalal al-Din Rumi: The illustrated Rumi]

Schwieriges Thema. Der Begriff „Wissen“ wird auch sehr unterschiedlich verwendet. Wir definieren uns ja alle irgendwie über unser Wissen, gerade im Informationswesen, aber ich würde diese Art Wissen eher neutral als „Kenntnisse haben“ bezeichnen. Der Begriff „Wissen“ bei Matsuoka und Rumi bezeichnet dagegen sowohl das rational bewußte Wissen um Dinge als auch ein unbewußtes, intuitives Verständnis um ihre innere Qualität.

2 Gedanken zu „Wissen und Unwissen

  1. Genial. Nur ein Zitat aus Ihrer Literaturstelle:

    Once an experienced analyst has the minimum information necessary to make an informed judgment, obtaining additional information generally does not improve the accuracy of his or her estimates. Additional information does, however, lead the analyst to become more confident in the judgment, to the point of overconfidence.

    Ich wusste bisher garnicht, dass es sowas wie Overconfidence überhaupt gibt 🙂

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